Warum es ein Glück ist, als ehemalige Chefredaktorin die Agentur "speakers.ch AG" zu führen.

Warum es ein Glück ist, als ehemalige Chefredaktorin die Agentur "speakers.ch AG" zu führen.

février 25, 2018

Wozu ist ein Chefredaktor/eine Chefredaktorin nach dem freiwilligen oder unfreiwilligen Rücktritt noch zu gebrauchen? Ganz einfach ist die Antwort nicht. Es sei denn, man habe das Glück, die Agentur "speakers.ch AG" als Inhaberin und Geschäftsführerin zu übernehmen. Warum das so ist? Lesen Sie hier die Hintergründe:

Will man sich eine Übersicht verschaffen
über das Sesselrücken in den Chefredaktionen
der ursprünglich zahlreichen Printmedien,
wendet man sich am besten an
eine Frau. Eva Uhlmann – unter Insidern
die un-heimliche Chefredaktorin genannt
– war zwischen 1954 und Anfang 1998 als
Assistentin der Chefredaktion des „Tages-
Anzeigers“ tätig.
Sie hat in dieser Zeit sieben Chefredaktoren
kommen und gehen sehen und erinnert
sich selbstverständlich auch an die
Chefs der direktesten Konkurrenz, sprich
der „NZZ“. Dafür braucht es kein allzu
gutes Gedächtnis. Es waren nämlich zwischen
1933 und 2000 gerade mal drei:
Willy Bretscher, Fred Luchsinger und Hugo
Bütler. Sie wurden alle drei ordentlich
pensioniert. Fairerweise sei angeführt,
dass bis Ende der 70er-Jahre die Konstanz
auch beim „Tages-Anzeiger“ gross war
und alle Chefs – mit einer Ausnahme, nämlich
Edmund Wenninger, der während des
Amtes verstarb – bis zu ihrer Pensionierung
an der Werdstrasse blieben. Beim
„Blick“ erinnert man sich in erster Linie
an Peter Uebersax, zweimaliger Chefredaktor
(in den 60er-Jahren und sechseinhalb
Jahre in den 80er-Jahren). Nach
seiner Pensionierung wurde es auch bei
der Boulevardzeitung immer schwieriger,
sich an die Chefs zu erinnern, ab den 90er-Jahren
war es ein halbes Dutzend.
Der Medienstrukturwandel brachte die
Komfortzone zum Verschwinden. Die publizistische
Kompetenz war nicht mehr das
Mass aller Dinge. Nur noch in Kombination
mit betriebswirtschaftlichem Erfolg
– auch wenn der nur bedingt durch die
Chefredaktion erbracht werden konnte –
hielt man sich an der Spitze. Mit zunehmendem
Spardruck, schwindender Auflage
und teilweise kopfloser Strategie
Also in eine andere Wirtschaftsbranche
wechseln? Ebenfalls kaum realisierbar. Wer
braucht an der Spitze eines Unternehmens
einen Chef, der die erwirtschafteten Resultate
zwar kommunikativ hervorragend
beschreiben und die Firmengeschichte in
einer unterhaltenden Chronik festhalten
könnte, darüber hinaus aber keine wirklich
einschlägigen betriebswirtschaftlichen
Kompetenzen mit sich bringt? Diese spricht
man den gern als Schöngeister bezeichneten
Chefs mehrheitlich ab. Und selbst wenn
der Chefredaktor mal was Anständiges
studiert hat (also nicht nur an einer Journalistenschule
war) und sich vor dem Einstieg
im Journalismus zum Juristen, Germanisten
oder gar Ökonomen ausgebildet
hat – die erlernten Fähigkeiten dienten
bestenfalls für intelligente Leitartikel und
die einigermassen geordnete Führung der
schwer erziehbaren Journalistinnen und
Journalisten. Nicht aber dazu, in einer Bank
als Chefjurist oder Betriebswirtschafter zu
überzeugen.
Brauchbar sind ehemalige Chefredaktoren
als Kommunikationschefs, was aber
voraussetzt, dass der ehemalige Chefredaktor
kein Alphatier ist, wie beispielsweise
der leider früh verstorbene Viktor
Schlumpf, der nach seiner Absetzung als
Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ von
1991 bis 2002 als Kommunikationschef von
Justizminister Arnold Koller tätig war. Dass
mein Gastspiel beim ehemaligen CEO und
Verwaltungsratspräsidenten Daniel Vasella
von Novartis nur gerade zwei Monate
dauerte, bis ich das Handtuch warf, hat
hingegen wesentlich damit zu tun, dass es
nicht zwei Alphatiere als CEO und Kommunikationsverantwortliche
erträgt.
Naheliegend wäre das Sammeln von Verwaltungsratsmandaten.
Schliesslich leistet
sich jedes Unternehmen, das etwas auf sich
Gebrauchsanleitung
für Chefredaktoren
Was tut ein Chefredaktor, wenn er geht oder gegangen wird? Esther Girsberger, selbst einmal
in dieser Situation, über die schwierigen Perspektiven dieses journalistischen Führungsjobs.
wechselten dementsprechend häufig auch
die Chefredaktoren (Esther Girsberger,
Philipp Löpfe beim „Tagi“; Markus Spillmann
bei der „NZZ“; Bernhard Weissberg,
Ralph Grosse-Bley, René Lüchinger, Peter
Röthlisberger, ad interim Andrea Bleicher
usw. beim „Blick“).
In anderen Wirtschaftszweigen waren
solche Wechsel weniger problematisch.
Hatte man nicht gerade goldene Löffel gestohlen
oder sich sonst wie daneben verhalten,
fand man in einem verwandten
Bereich wieder eine gut dotierte Position.
Oder man hatte beim alten Arbeitgeber
finanziell so vorgesorgt, dass man sich getrost
mit der Entlassung abfinden konnte.
Schlechter dran waren die Chefredaktoren.
Wenn man nicht beim Börsengang des
Medienbetriebs kräftig verdiente, reichte
das Salär nicht weit. Wo also andocken?
„Wer nichts wird, wird Journalist“. Das
Klischee hat was. Wozu ist ein ehemaliger
Chefredaktor noch zu gebrauchen?
Selbst wenn er nicht klar einer ideologischen
Färbung bezichtigt werden kann,
wird er anhand des Mediums, das er vertreten
hat, doch in die eine oder andere
Ecke gedrängt. Da kann die SVP noch so
meckern, die Medien seien allesamt links:
Wenn dem so wäre, wären die publizistischen
Chefs beliebig austauschbar und
tauchten an der Spitze eines anderen Medienunternehmens
wieder auf. Das stimmt
allenfalls innerhalb des gleichen Verlags
– Chefredaktoren von Ringier-Produkten
wechselten vom einen hauseigenen Produkt
zu anderen: Peter Rothenbühler,
Werner de Schepper, René Lüchinger,
Hannes Britschgi. Bei Tamedia waren es
René Bortolani, Res Strehle oder Andreas
Durisch. Ausserhalb des bisherigen Verlags
wieder Chef zu werden, ist im Normalfall
schwierig bis unmöglich.

Also in eine andere Wirtschaftsbranche
wechseln? Ebenfalls kaum realisierbar. Wer
braucht an der Spitze eines Unternehmens
einen Chef, der die erwirtschafteten Resultate
zwar kommunikativ hervorragend
beschreiben und die Firmengeschichte in
einer unterhaltenden Chronik festhalten
könnte, darüber hinaus aber keine wirklich
einschlägigen betriebswirtschaftlichen
Kompetenzen mit sich bringt? Diese spricht
man den gern als Schöngeister bezeichneten
Chefs mehrheitlich ab. Und selbst wenn
der Chefredaktor mal was Anständiges
studiert hat (also nicht nur an einer Journalistenschule
war) und sich vor dem Einstieg
im Journalismus zum Juristen, Germanisten
oder gar Ökonomen ausgebildet
hat – die erlernten Fähigkeiten dienten
bestenfalls für intelligente Leitartikel und
die einigermassen geordnete Führung der
schwer erziehbaren Journalistinnen und
Journalisten. Nicht aber dazu, in einer Bank
als Chefjurist oder Betriebswirtschafter zu
überzeugen.

Brauchbar sind ehemalige Chefredaktoren
als Kommunikationschefs, was aber
voraussetzt, dass der ehemalige Chefredaktor
kein Alphatier ist, wie beispielsweise
der leider früh verstorbene Viktor
Schlumpf, der nach seiner Absetzung als
Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ von
1991 bis 2002 als Kommunikationschef von
Justizminister Arnold Koller tätig war. Dass
mein Gastspiel beim ehemaligen CEO und
Verwaltungsratspräsidenten Daniel Vasella
von Novartis nur gerade zwei Monate
dauerte, bis ich das Handtuch warf, hat
hingegen wesentlich damit zu tun, dass es
nicht zwei Alphatiere als CEO und Kommunikationsverantwortliche
erträgt.
Naheliegend wäre das Sammeln von Verwaltungsratsmandaten.
Schliesslich leistet
sich jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, eine Verwaltungsrätin oder einen Verwaltungsratmit kommunikativ einschlägiger Erfahrung. Doch Chefredaktorinnen und -redaktoren stehen unter Generalverdacht,haben sie sich während ihres Amtes dochnicht nur publizistisch deutlich geäussert, sondern auch in öffentlichen Diskussionsrunden.

Da scheut sich manch ein Aufsichtsgremium,
ein solches Risiko einzugehen –
der ehemalige Medienchef könnte sich ja
einmal zu deutlich bezüglich des eigenen
Unternehmens äussern oder sich gar politisch
nicht ganz konform zu Wort melden.
Das grösste Kapital ehemaliger Chefredaktoren
ist deren Beziehungsnetz. Ein
Beziehungsnetz, das sich durch alle Branchen
hindurch zieht. Schliesslich sind
Politiker, CEOs, VR-Präsidenten, Spitzensportler
oder Kulturgrössen gezwungenermassen
an den Meinungsmachern aus
den Medien interessiert. Die Einladungen
zu Generalversammlungen, Galas, Spitzentreffen
oder andere hoch dotierte
Events bleiben zwar am Tag nach dem
Rücktritt oder der Absetzung des Chefredaktors
aus. Aber die früheren Begegnungen
auf Augenhöhe sind doch von einer
gewissen Dauer und werden gerne genutzt.
Die meisten ehemaligen Chefredaktoren
sind denn auch als Gründer der eigenen
PR-Agentur oder als Partner von renommierten
Beratungsfirmen tätig: Sacha
Wigdorovits, Medard Meier, Ueli Haldimann,
Jürg Wildberger, Markus Spillmann
oder Andreas Durisch, um nur einige zu
nennen. Solche Beratungstätigkeiten sind
allerdings mit der gebotenen Diskretion
auszuüben. Waren diese Entscheidungsträger
während ihrer Zeit als Chefredaktoren
regelmässig in Diskussionssendungen
weit über die Medien hinaus als
Meinungsmacher gefragt, sind sie als Berater
nicht mehr in der Öffentlichkeit präsent.
Diese mangelnde Sichtbarkeit wird
wenigstens gut kompensiert durch höchst
ansehnliche Beratungshonorare.
Ich kann das recht hautnah beobachten.
Seit über drei Jahren gehört mir die Agentur
speakers.ch. Wir vermitteln unter anderem
Referenten und Moderatoren. Allzu
viele ehemalige Chefredaktoren sind
nicht darunter, und es sind eher jene, die
schon immer ein unbeschwertes Verhältnis
zum öffentlichen Auftritt hatten, Roger
de Weck beispielsweise, Hannes Britschgi,
Erich Gysling und Peter Rothenbühler.
Mehrheitlich äussern sich diejenigen
ehemaligen Medienchefs weiterhin mit
klaren Meinungen zu Wort, die lukrative
Beratungshonorare nicht (mehr) nötig
haben. Peter Hartmeier etwa, ehemaliger
„Tagi“-Chef und Schweiz-Kommunikationschef
der UBS, der von der Bank eine
Rente bezieht. Als Partner von Lemongrass
Communications ist er nun zwar erfolgreich
als klassischer PR-Berater tätig, doch
lässt er sich nicht darauf reduzieren. Er
stellt sich nach wie vor oft und gern der
Öffentlichkeit. Wohl auch deshalb, weil er
den Auftritt liebt.
Das gilt auch für mich. Bei Frauen hat der
Gang in die Öffentlichkeit noch einen anderen
Grund. Sie sind so rar, dass man sie
bedeutend öfter als die Männer um ihre
Stellungnahmen bittet. Auch wenn ich nur
gerade mal zwei Jahre lang (1997 bis 1999)
Chefredaktorin des „Tages-Anzeigers“
war, werde ich nach wie vor nach meiner
Meinung gefragt. Und – allerdings ungefragt
– in aussichtsreiche Exekutivämter
wie den Zürcher Stadtrat hineingeschrieben.

Zugegeben, ganz lustig ist das nicht.
Wenn ich mich zum Beispiel in der
sonntäglichen Diskussionsrunde „Sonn-
Talk“ bei TeleZüri exponiere, dann bleiben
– neben konstruktiver Kritik und auch
Lob – die unflätigen, unsachlichen Kommentare
nicht aus. Bekanntlich werden
Frauen in den sozialen Medien besonders
gern mit persönlich fragwürdigen Attributen
versehen. Verständlich, sich deshalb
zurückzuziehen und die eigentlich so nötige
Sichtbarkeit zu reduzieren. Vor allem
eben – siehe oben –, wenn man sich wieder
für beruflich höhere Weihen oder Chefposten
andienen will.
Will man das nicht mehr, und für diese
Entscheidung hilft sicherlich auch ein gewisses
Alter oder ein Einkauf in eine Pensionskasse,
lebt es sich vortrefflich. Auch
in der Öffentlichkeit.